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Hass auf Frauen – Von Hate Speech bis Femizid

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Jennifer Stange
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Ulrike Barwanietz
Candy Sauer

Patriarchale Denkweisen sind der Nährboden für mehr oder weniger offene Abneigung gegenüber Frauen bis hin zu unverhohlenem Hass und Gewalt, meinen viele Forscher*innen.

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Sexistisches Weltbild in Deutschland weit verbreitet

Laut der Leipziger Autoritarismus-Studie aus dem Jahr 2020 hat ein Viertel der Deutschen ein geschlossen sexistisches Weltbild. In digitalen Räumen wird das wohl am deutlichsten.

Männer wärmen sich hier an Frauenbildern der Fünfzigerjahre wie an einem Lagerfeuer, ergötzen sich an Quotenfrauen-Häme, Rabenmütter-Narrativen und verbreiten Drohungen gegen angeblich besonders unverschämte, dreiste, wichtigtuerische Frauen.

Jeden dritten Tag bringt ein Mann in Deutschland eine Frau um

Jeden dritten Tag bringt ein Mann in Deutschland eine Frau um – seine Partnerin, seine Ex-Frau, eine Bekannte. Die Zahl der Femizide ist gleichbleibend hoch. Das Profil der Täter und ihre Vorgehensweisen sind gut erforscht, oft werden diese Taten angekündigt. Häufig suchen Opfer im Vorfeld von Gewalttaten Schutz bei der Polizei, erstatten Anzeige, suchen Beratungsstellen auf. Und es passiert trotzdem.

Demonstrantinnen mit "Handmaid's Tale"-Kostümen und Schildern mit der Aufschrift "Ni una menos  Nicht Eine mehr" machen im Rahmen der Frauentagsdemo 2021 in Berlin auf Femizide aufmerksam (Foto: IMAGO, IMAGO / Bildgehege)
Demonstrantinnen mit "Handmaid's Tale"-Kostümen und Schildern mit der Aufschrift "Ni una menos / Nicht Eine mehr" machen im Rahmen der Frauentagsdemo 2021 in Berlin auf Femizide aufmerksam

Auffallend wenig ist darüber bekannt, ob und wie patriarchale Strukturen in Institutionen wirken. Die Sozialwissenschaft ist bisher zurückhaltend, wenn es darum geht, Geschlechter-Ungleichheit in jenen Einrichtungen zu erforschen, die das staatliche Gewaltmonopol garantieren. Überraschend einheitlich sind dagegen die Stimmen betroffener, überlebender Frauen unabhängig vom Delikt. Sie vermissen

  • Schutz
  • konsequentes staatliches Vorgehen und
  • Gerechtigkeit

Viele Verfahrenseinstellungen und Freisprüche für die Täter

Auf einhundert vergewaltigte Frauen kommt laut einer Studie des Kriminologen Christian Pfeiffer aus dem Jahr 2019 ein verurteilter Täter. Die Zahl ist umstritten. Einig ist sich die kriminologische Forschung aber darüber, dass die Ursachen für Verfahrenseinstellungen und Freisprüche bei sexueller Gewalt unklar sind. Für gewöhnlich werden Tatumstände und Glaubwürdigkeit von Opfer und Täter untersucht, bisher gibt es keine Forschung zur Ermittlungsarbeit selbst, kritisiert Pfeiffer. D

Frauen des öffentlichen Lebens sollen sich laut Polizei „bei Twitter abmelden“

Comedy-Autorin Jasmina Kuhnke erzählt 2021 der Tageszeitung taz, die Polizei habe ihr empfohlen, sich bei Twitter abzumelden, nachdem ein Video mit ihrem Wohnhaus im Bild und dem Aufruf, sie zu massakrieren, aufgetaucht waren. Wünsche nach Personenschutz oder regelmäßigen Streifen vor der Wohnung seien nicht erfüllt worden. Kuhnke musste deshalb laut taz umziehen und ebenfalls Sicherheitsmaßnahmen aus eigener Tasche zahlen.

Misogynie und Rassismus in der Literatur

2021 erschien Jasmina Kuhnkes Roman "Schwarzes Herz", in dem es um Rassismus und Misogynie geht. In den sozialen Medien nennt sich Kuhnke "Quattromilf". In einem Thread lesen u. a. Pegah Ferydoni und Natascha Strobl Auszüge aus dem Buch:

Pimmelgate offenbart ungleiche Strafverfolgung je nach Geschlecht

Der Vergleich: Im Juni 2021 durchsuchen Polizeibeamte die Wohnung eines Twitter-Users. Einer seiner Tweets hatte sich auf die Genitalien des Hamburger Innensenators Andy Grote bezogen und so die Ermittlungen ausgelöst. Die Angelegenheit zog sich bis Oktober 2021, immer wieder entfernte die Polizei Aufkleber und Plakate mit ein und demselben Satz. Der Twitter-User hatte geschrieben „Andy du bist so 1 Pimmel!“

Die Freiheit, nicht aufgrund des eigenen Geschlechts öffentlich gedemütigt zu werden, ist demnach ein männliches Privileg.

Misogynie in Institutionen, Bürokratie und Gesellschaft

Die amerikanisch-australische Moralphilosophin Kate Manne entwickelt in ihrem Buch „Down Girl“ eine Definition von Misogynie, die es möglich macht, unterschiedliche Ausprägungen von Frauenverachtung zu benennen. Misogynie, so Manne, sei eingeschrieben in soziale Verhältnisse, genauso wie in Institutionen und bürokratische Mechanismen einer ganzen Gesellschaft. Und sie reiche von den subtilen hin zu den dreisten, von den chronischen zu explosiven Anfeindungen durch einzelne Männer.

Kate Manne betont den rationalen Kern der Frauenverachtung: Gehe man davon aus, dass Führungspositionen, Einfluss, Geld, Status und so weiter nicht unbegrenzt zur Verfügung stehen, dann sei es für Männer rational, Frauen von der Konkurrenz um diese Güter auszuschließen. Damit grenzt sich die amerikanische Philosophin bewusst gegen emotionalisierende und psychologisierende Deutungen der Misogynie ab.

Wenn Männer über Vergewaltigung lachen

Die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth schildert im Jahr 2021 gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, wie riskant es gewesen sei, sich als Frau in der Politik gegen männliche Mehrheiten zu äußern. Wie verletzend es auch für sie war, als viele Männer im Bundestag laut lachten, als eine Abgeordnete 1983 erstmals forderte,Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe zu stellen.

„Problem gelöst!“ steht 2019 in großen Druckbuchstaben auf dem Heck eines SUVs. Die Aussage ist Teil eines ganzen Sticker-Ensembles. Unterhalb der Kofferraumklappe kleben zwei geflochtene Zöpfe und damit unmissverständlich klar wird, wer hier gemeint ist, steht daneben noch ein: „Fuck you Greta“. Gleich mehrere dieser sogenannten Bumper-Sticker werden im sächsischen Vogtland ab 2019 spazieren gefahren.

Weiße Männer überrepräsentiert unter Klimaleugnern

Schon 2011 veröffentlichte die Fachzeitschrift Global Environmental Change eine Studie, wonach weiße Männer in der Gruppe derjenigen, die den menschengemachten Klimawandel leugnen, überrepräsentiert sind.

Die amerikanische Politologin Cara Daggett von der Virginia Tech University gab diesem Identitäts-Konzept 2018 einen Namen: Petro-Maskulinität. Ihr Alter Ego ist das Auto, ihr Leistungsmerkmal: Schadstoffemissionen. Ihr Feindbild sind junge Frauen.

Frauen, die vermeintlich aus der Reihe tanzen

Rahel Jaeggi zählt zu den bedeutendsten Philosophinnen im deutschsprachigen Raum. 2009 wurde sie die erste Philosophie-Professorin an der Humboldt-Universität Berlin.

Patriarchale Lebensformen und Denkweisen sind für Jaeggi Nährboden für mehr oder weniger offene, mehr oder weniger stark ausgeprägte Abneigung gegenüber Frauen bis hin zu unverhohlenem Hass und Gewalt. Davon betroffen seien insbesondere Frauen und Mädchen, die als aufsässig, nachlässig oder aus der Reihe tanzend wahrgenommen werden, meint die US-amerikanische Philosophin Kate Manne.

Doch das ist nicht alles. Denn neben Kuhnke, Süssmuth, Daggett, Jaeggi und Manne machen sich immer mehr Menschen stark für Solidarität. Und spielen nicht mehr mit bei Ungerechtigkeit, Schweigen und Gewalt, sondern klagen Frauenhass, Femizide und strukturelle Gewalt offen an.

SWR 2022 / 2023

Gesellschaft Toxische Männlichkeit – Die Weltsicht der Wutmänner

In den "sozialen Medien" stößt man zunehmend auf Männer, die ihre Frauenverachtung und vermeintliche "Mannhaftigkeit" feiern. Es sind nicht nur Sprüche: Die Täter von Halle, Christchurch oder Utøya entstammen dieser Szene. Auch die AfD versucht, an diese Szene anzuknüpfen.

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Diskussion Problemfall Mann – Warum steigt die Gewalt gegen Frauen?

Eva Röder diskutiert mit
Christoph May, Institut für Kritische Männerforschung
Prof. em. Dr. Rolf Pohl, Männlichkeits- und Gewaltforscher
Dr. Mithu Sanyal, Kulturwissenschaftlerin und Schriftstellerin

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Diskussion Beschimpft, bedroht, beleidigt – Wer schützt uns vor dem Hass im Netz?

Es diskutieren:
Jagoda Marinic, Schriftstellerin, Heidelberg
Prof. Dr. Bernhard Pörksen, Medienwissenschaftler, Universität Tübingen
Dr. Jan Christian Sahl, Jurist und Mitbegründer von "HateAid", Berlin
Gesprächsleitung: Doris Maull

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Sexuelle Gewalt Frauen heimlich gefilmt – Upskirts und Voyeur-Videos im Internet

Auf Porno-Plattformen gibt es unzählige Voyeur-Videos und geleakte private Nacktfotos. Deepfakes, in denen Pornos mit prominenten Gesichtern erstellt werden, kommen hinzu. Mit welchen Mitteln lässt sich dagegen angehen?

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Kriminalität Tatwaffe Messer – Ursachen und Folgen eines Gewaltphänomens

Die Messergewalt nimmt zu, besonders unter jungen Männern. Tödliche Angriffe von psychisch Kranken oder von Kindern wühlen die Öffentlichkeit auf. Die Politik reagiert nur zögerlich. Es fehlen Daten.

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Porträt zum 80. Geburtstag Der Kulturtheoretiker Klaus Theweleit – Warum Männer hassen

In seinem Werk „Männerphantasien“ sucht Klaus Theweleit nach dem Ursprung männlicher Gewalt und Dominanz über Frauen. Er wurde damit zu einem Pionier der Männer- und Gewaltforschung in Deutschland.

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Körperliche und digitale Gewalt

Kriminalität Konzepte gegen häusliche Gewalt – Was tun, wenn er prügelt?

In Deutschland gibt es zu wenig Plätze in Frauenhäusern für gewaltbedrohte Frauen und ihre Kinder. Neue Ansätze fordern, zudem verstärkt auf Prävention und Täterarbeit zu setzen.

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Gesellschaft Sexualisierte Gewalt im Sport – Wie Vereine Belästigung und Missbrauch verhindern

Viele Sportlerinnen und Sportler erleben sexualisierte Gewalt – oft durch Trainer, die auf Kumpel machen. Sportverbände sind sensibilisiert. Die meisten Vereine aber könnten viel mehr tun.

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Gesellschaft Cyberstalking – Was tun gegen digitale Gewalt?

Häufig sind Frauen die Opfer von Cyberstalking: Sie werden digital beleidigt und bedroht. Obwohl der Stalking-Paragraf verschärft wurde, ist es schwer, die Täter zu belangen.

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Literatur

Buchkritik Patriarchen mit Partyhütchen und Pappnase: „Down Girl. Die Logik der Misogynie“ von Kate Manne

Der philosophische Blick von Kate Manne bleibt leider an der Oberfläche. Und erreicht, weil sich die Autorin auf die privilegierten „weißen“ Menschen dieser Welt fokussiert, nur eine kleine gebildete Elite.

Soraya Chemaly Speak out! Die Kraft weiblicher Wut

Wut gilt als unweibliches Gefühl. Mädchen sollen vor allem „lieb“ sein. Ein falscher Weg. Die US-amerikanische Journalistin und Aktivistin Soraya Chemaly will die Wut nun für Frauen produktiv machen.

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